ROUTE 1 – ist der Titel von Roland Schapperts erster LP, die auch als Download erhältlich ist. In sechs Stücken, die alle im Zeitraum von Juni bis Oktober 2021 entstanden sind, äußert sich eine langjährige musikalische Praxis, die von sehr unterschiedlichen Klangeinflüssen und Konzeptionen geprägt ist. Die sorgfältige Erstellung eigenständiger elektronischer Sounds scheint auf den ersten Blick wie ein Produkt zu wirken, das mögliche aktuelle Erwartungshaltungen umspielt.
ROUTE 1 beinhaltet jedoch nicht nur Aspekte, die die volle Bandbreite technischer Möglichkeiten zur Klangerzeugung anwendet und diese im abstrakten Modus belässt, sondern ist angereichert mit Field Recordings und eingestreuten sprachlichen Passagen. Roland Schappert lässt sparsam-lyrische Vertonungen quasi aus dem Nichts auftauchen, mit seiner eigenen Stimme moduliert. Es ist eine ganz und gar individuelle Bildlichkeit, die den Tracks zu eigen ist und die eine angenehm emotionale Wärme versprüht.
Die Titel der Stücke beziehen sich auf Orte, an denen sich Roland Schappert im Entstehungsjahr aufhielt. ROUTE 1 ist zudem ein exemplarischer Streifzug durch fünf Jahrzehnte elektronischer Musikgeschichte – von ihren popkulturellen Synthesizer-Implikationen beginnend bis hin zum gegenwärtigen Zustand digitaler Tontechniken. Eine persönliche und eine historische Route, die mit feinen elektronischen Soundfindungen hoch emotional dem Hörer seinen eigenen Weg weist.
ROUTE 1 heißt Roland Schapperts Debütalbum, auf dem er lange zurückreichende Erfahrungen und aktuelle Realisierungen erstmals kompakt gebündelt hat. Er nutzt dabei ein breites elektronisches Spektrum, das zwischen verschiedenen Stilarten zu mäandern scheint und dabei sämtlichen Erwartungshaltungen von Club-Kausalitäten oder einem Abdriften in esoterische Ecken trotzt. Alle Stücke entstanden Juni bis Oktober 2021. Es ist Roland Schapperts persönlicher Weg der Klänge, die Konturen aus elektronischer Musik, Pop und klassischen Strukturen miteinander verschmelzen lässt. Uneindeutig. Reichhaltig. Stetig variierend. Nie kopflastig, sondern mit einer angenehm anmutenden Wärme emotional berührend. Letzteres ist hier ein sehr charakteristisches Wesensmerkmal. Unwillkürlich entstehen Bilder, die im Kontext zu den Songtiteln, die jeweils Orte bezeichnen, persönliche Erinnerungen aufblitzen lassen. Aber auch imstande sind, gänzlich andere Gedanken diesem klanglichen Niveau anzupassen, die zunächst mehr gefühlsbetont als begrifflich gestimmt sind.
Bildlichkeit ist im gesamten Schaffen von Roland Schappert immens wichtig – seien es eigenartig verschlungene Bildwerdungen der Schrift auf dem Gebiet der Bildenden Kunst, die freie Entfaltung persönlich gefärbter Verknüpfungen in seinen schriftstellerischen Arbeiten oder die intime Suggestionskraft seiner musikalischen Werke. Roland Schappert selbst definiert die spezifische Bildlichkeit seiner musikalischen Prozesse so: „Die Mittel werden überwiegend digital erstellt. Kompositionen mit virtuellen Synthesizern stehen im Dialog mit sparsamen Field Recordings und lyrischen Versatzstücken. Naturhafte Prozesse der Tonfindung ergänzt mit rhythmischen Elementen und minimaler Elektronik. Emotionen, organische Digitalität.“ Konkret sieht das so aus, dass in jedem der vier bis zehn Minuten langen Stücke mehrere elektronische Segmente miteinander wetteifern, die aber durch plötzlich auftretende Breaks entgleiten können, um dann erneut sich wieder zusammenzufügen. Die Field Recordings – Geräusche während einer Autofahrt, Regen, etliches anderes Naturhaftes, auch menschliches Atmen – sind wohltuend in den digitalen Klangkosmos eingebettet. Von Disharmonie keine Spur.
Doch damit nicht genug. Wenn man sich erst mal in diesem Strudel musikalischer Materie eingerichtet hat, erklingt urplötzlich wie aus dem hellen Nichts eines plötzlich geöffneten Fensters eine klare männliche Sprechstimme – es ist Schapperts eigene – mit sowohl kurzen Verlautbarungen als auch zaghaften lyrischen Passagen. So etwas wäre in songorientierter elektronischer Popmusik gemeinhin nicht anzutreffen, eher erinnert das an einen der populärsten Vertreter der klassischen Avantgarde – an Karlheinz Stockhausen. In vielen seiner Werke, etwa im Chorstück Stimmung und in seinem Umgang mit intuitiver Musik, beispielsweise in Aus den sieben Tagen, platzen immer mal unverhofft persönliche Statements hinein – artikuliert aus His Master’s Voice himself. Selbst sein gigantischer Licht-Zyklus, bei dem in dem kompletten Durcheinander aus mannigfachen Handlungssträngen die größtmögliche Glückseligkeit – die Liebe – das Maß aller Dinge ist, bleibt von derlei Störaktionen nicht verschont. Bei Roland Schappert wäre so etwas Ausuferndes eher als feinsinnige Anspielung eingesponnen. Und darüber hinaus ist in den sechs Stücken von ROUTE 1 noch ein weiterer Aspekt von Belang. An manchen Stellen ertönen völlig losgelöst von den zumeist eng verwobenen elektronischen Soundflächen melodiöse Keyboard-Figurationen, die geradewegs auf das glorreiche Zeitalter des Barock zu verweisen scheinen, hier jedoch mit Hilfe zeitgenössischer Algorithmen programmiert. Einmal mehr wird die Vielschichtigkeit von Roland Schapperts musikalischem Wirken offenkundig. So absolvierte er als Jugendlicher zehn Jahre lang klassischen Klavierunterricht und beschäftigte sich auch mit Komposition, infolgedessen er viele Jahre später Projekte unterschiedlicher Gestalt konzipierte, unter anderem 2005 im Auftrag der Kölner Gesellschaft für Neue Musik (KGNM) sein großformatiges kollaboratives Werk Neon-Klassik. Sounds im Auge für Klavier, Mezzo-Sopran und elektronische Klänge. In diesem Zeitraum wurde auch sein Stück Ausgeludert auf dem ersten Noise of Cologne-Sampler veröffentlicht.
Doch zurück zur barocken Attitüde. Ein Fremdkörper? Nein. Oder etwa doch? Robert Feuchtl aka Bob Humid, der den Entstehungsprozess von ROUTE 1 mit seinem Mastering mustergültig begleitete, äußert sich dazu mit folgenden Worten: „Der König ist schon geköpft und der Hausmeister spielt auf seinem neuen elektronischen Cembalo die letzte Einsamkeit.“ Noch bevor ein weiteres Fenster geöffnet wird, sei auch hier kurz ein Vergleich zu früheren Musikdekaden genannt. Im Jahre 1968 verblüffte die amerikanische Komponistin Wendy Carlos sowohl die Fachwelt als auch das Publikum mit der Transformierung sämtlicher Brandenburgischen Konzerte von Johann Sebastian Bach in ein komplett elektronisches Universum, das unter dem Pseudonym Walter Carlos als Switched-on Bach auf Platte erschien und zur Verblüffung aller zum Megaseller mutierte und es sogar bis in die Pop-Charts schaffte. Vertreter der etablierten Kritik zürnten gewaltig, nannten das Banausentum, andere waren darüber sehr angetan – wie etwa Glenn Gould, der für diese Adaption überraschenderweise nur lobenswerte Worte fand. Und um daraus erneut den Bogen zu schlagen: Mit ROUTE 1 switcht Roland Schappert sich entlang den Entwicklungsstadien der elektronischen Musik von ihren popkulturellen Anfängen, über die Korg-Synthesizer-Spielweisen der späten 1970er bis 1990er Jahre, sanften Techno-Kompabilitäten der 2000er bis zur Computer-Ästhetik und zu digitalen Algorithmen der letzten zwei Jahrzehnte in ein heutiges Möglichkeitsfeld von hochwertiger Qualität empor.
Dieses Album ist gekennzeichnet von erstaunlicher Sensibilität und fein ausgearbeiteten Nuancen in Klangfarbe, Ton und Ausdruckskraft. Es steht auf der Höhe der Zeit, was die Beherrschung elektronischen Sounddesigns anbelangt, und überzeugt in seiner emotionalen Wirkung wie konzeptuellen Ausrichtung zugleich.
Joachim Ody, Januar 2022
Ringe
Undurchsichtiges Treiben, eine urbane Atmosphäre simulierend. Field Recordings – eigentlich City Recordings – Straßenverkehrsgeräusche, Sirenen. Ein Kellner spricht. Abgeschirmt davon in innerer Abgeschiedenheit spielt gedankenverloren ein lonesome player sich wiederholende Melodiefiguren, bevor das Fenster zur Außenwelt erneut geöffnet wird und alles in einem bewegten Szenario voller Abstraktion jenseits des eindeutig Definierbaren mündet.
Joachim Ody, 14.01.2022
Val d’Ultimo
Ein äußerst beruhigender Spaziergang, voller Kennzeichen verträumter Klangelemente. Florale Natur singt auf elektronischem Wege. Überglückliche Gefühle stellen sich ein und animieren Sehnsüchte, denen man in dieser realen oder imaginierten Landschaft nachgehen möchte. Die Fantasie der Hörer:innen schaltet und waltet.
Joachim Ody, 14.01.2022
Engelbertstraße
Ein klangliches Kompendium aller Umstände der häuslichen Umgebung, denen man Tag für Tag ausgesetzt ist. Draußen regnet es. In diesem Umfeld treten lyrische Momente hervor, die mit dem Zustand von draußen verschmelzen, bis sich eine Einheit gebildet hat, die es so nicht gibt. Unsere Blicke lösen die Schatten / strahlen sie weg. / Deine Küsse schmecken nach innen / schmelzen Worte an / wie Sonnenlicht das Eis.
Joachim Ody, 14.01.2022
Baltrum
Eine synthetische Landung. Ich liege Arm in Arm mit mir. City of Tomorrow und Erinnerung an die Wavestation. MS 20 und ein verschwundener Ocean. Wellen treiben nach unten, brechen nichts mehr. Die Zitate sind frei erfunden … Horizont … wird es heiter. Eine Melodiefolge auf einem angespitzten Electric Piano schraubt sich in immer neuen Kreisen hinauf.
Roland Schappert, 08.01.2022
Created, performed, mixed, artwork, lyrics
and cover photographs by Roland Schappert
Mastered by Robert Feuchtl at bobhumid.de
Design by Monika Neumann at motho-design.com
Produced by Michael Heiber at neophon.de
Thank you Joachim Ody
Limited Edition 100
2022
Downloadlink: r-ecords.com/download
Downloadcode: d57b436xxx
Distribution by a-musik.com
All rights reserved
www.r-ecords.com