ROUTE 2

Die Doppel-LP ROUTE 2 schließt konsequent an die Klangwelten der ebenfalls 2022 auf r-ecords.com erschienenen LP ROUTE 1 an. Dabei überführt Roland Schappert zehn neue Stücke seiner speziellen Klangerzeugung mit oftmals überraschenden Wendungen in Kontexte, die nur noch entfernt an bekannte analoge Instrumente oder digitale Synthesizer erinnern. Kurze Melodiefragmente, pointierte Tonfolgen und rhythmische Phrasen in variantenreichen Loops oder unique  werden organisch miteinander verwoben. 

Joachim Ody, Mai 2022

Darwin

Glockige Klänge tröpfeln, schlagen Tonfolgen vor sich hin und entfalten ein fein ziseliertes mikrokosmisches Ballett. Am Schluss entfaltet sich ein evolutionstechnischer Prozess und es öffnet sich ein Portal, das uns in die Echoklänge einer Vogelhalle führt und kurz darauf eine beschauliche Meeresatmosphäre entstehen lässt. Die Natur erobert sich Raum zurück. Oder erweist sich das am Ende als trügerische Simulation?

Drohnt

Drone droht. Alarmsirenen heulen. Sturm zieht auf. Regen peitscht. Kinder geraten in Panik. Flüchten. Oder spielen sie nur? Nähert sich ein Marschflugkörper? Steht eine Alien-Invasion bevor? Nein, es ist lediglich ein Drohn, der Signale aussendet. Es drohnt nur. Ein SciFi-Szenario einer billigen B-Movie-Produktion wird ins interstellare Jetzt gebeamt. Das wirkt nicht billig – man hörte eigentlich nie den Sound einer beleidigten Untertasse.

I love you, ich

Kein Tanz, der stillsteht. Langsam, einer endlosen Wolke gleich. Voller Unterbrechungen, Funklöchern auf der Spur. Selbst ein kleiner Sprint führt kein Ziel vor Augen – so kommt man stetig im Gleichklang an jeden Ort: Nothing more or less… I love you too.

I love you, Coda

Eine kurze Umgestaltung und Beschleunigung von I love you, ich, die in einer neuen phonetischen Ordnung zusammengefasst ist. Einzelne gebrochene Buchstaben bilden eine ästhetische Klangstruktur – elektronische Applikationen geraten ins Unkoordinierte. Ein entfernt an die Geschichte der Lautpoesie erinnerndes künstlerisches Verständnis im Gewand rhythmischer Strukturen.

Victor

Da schiebt sich Unbekanntes – einer Scheibe ähnlich – knarzend mit melodischem Dauerfeuer einer tiefen Bassschicht entgegen. Luftig ausgestattet erfreut sie sich in quälender Trockenheit an spartanischen Tonfolgen. Dreht sich alles und weicht nicht vom Weg ab. 

Fällst mir leicht

Ein Stomper für die Dark Disco. Direkt. Dynamisch. Voller Energie. Maschinelle Rhythmen werden gnadenlos vorangetrieben. In deren Echokammern verspielt eine virtuelle Elektronikwelt ihre Befreiung durch eine unerwartete Synthie-Interruption, die roboterhaft verdrängt wird. Ein Marsch wäre keine Option. Sich auf der Tanzfläche auszutoben, sich regelrecht die Seele auszukotzen, das schon. So fällst Du mir leicht.

Dich

Hier sprechen eine Minute lang ausschließlich Buchstaben und Wörter. Ich – ich – ich – Dich – ich liebe Dich – ich – ich – Dich. Verschallung und Verschaltung von Stimme und Körper. Mit einer nervösen Mechanik schnaufen, zischen und überlagern sich die Phoneme mehrfach. Sie werden moduliert, seriell systematisiert –  bis die Essenz jedes einzelnen Ausdrucks aufgelöst erscheint. 

Barbate

Das Panorama einer südandalusischen Stadt als schillerndes Fresko. Doch ohne jegliche spanischen Klischees. Ohne Touristen-Folklore. Klanglich illuminiert und verschachtelt. So spiegelt sich ein Gefühl wider, welchem man sich an diesem Ort möglicherweise aussetzen mag, wenn Bilder die Klänge verstimmen. Bedächtig, konzentriert, fast prozessionsartig fügt sich ein Melodiefragment zusammen. Mit Schwankungen am Rande. Taghell und nachtschwarz. Das Motiv wird ständig wiederholt, wechselt die Tonarten, wandert durch Skalen. Harmonien geraten ins Schwanken. Dabei lösen sie sich scheinbar unentwegt auf, ohne dass das Stück Substanz verliert. Das Instrumentarium bleibt unerkannt. Ein unbekanntes Saiteninstrument?

Cádiz

In gleißendem Licht flirrt der Welttraum eines Küstenorts im Hitzestau. Voller Watte und kerniger Kanten schnalzt und klirrt es zwischen zwei Winden. Im dickflüssigen Öl flirten kaltgepresste Oliven. Aufgebrochen schweben sie davon.

Campari-Sekt

Ein paar Eiswürfel im Glas. Bevor sie schmelzen, werden sie geschüttelt. Sie rotieren. Klirren. Dann ein Schwenk. Das Geräusch verselbstständigt sich und wird unscharf. Überführt sich in Rhythmen. Lauter Eigenleben. Die Würfel sind nicht mehr als solche zu identifizieren, sie werden gefiltert und in mehreren Schattierungen metamorphisiert. Ein elektronischer Zersetzungsprozess scheint unaufhaltsam in Gang zu kommen. Rhythmen zirkulieren, fangen sich und die Hörer:innen ein. Sie ändern unentwegt ihren Style. Nicht für immer. Am Schluss wird die amorph gewordene Masse entschleiert und lenkt über auf das immer noch klirrende Eis. Keine Zeit ist vergangen. 

 

Joachim Ody & Roland Schappert, Mai 2022

Created, performed, mixed, artwork, lyrics
and cover photographs by Roland Schappert
Mastered by Robert Feuchtl at bobhumid.de
Design by Monika Neumann at motho-design.com
Produced by Michael Heiber at neophon.de
Thank you Joachim Ody
Limited Edition 250
2022
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