ROUTE 2
Die Doppel-LP ROUTE 2 schließt konsequent an die Klangwelten der ebenfalls 2022 auf r-ecords.com erschienenen LP ROUTE 1 an. Dabei überführt Roland Schappert zehn neue Stücke seiner speziellen Klangerzeugung mit oftmals überraschenden Wendungen in Kontexte, die nur noch entfernt an bekannte analoge Instrumente oder digitale Synthesizer erinnern. Kurze Melodiefragmente, pointierte Tonfolgen und rhythmische Phrasen in variantenreichen Loops oder unique werden organisch miteinander verwoben.
Die Doppel-LP ROUTE 2 schließt konsequent an die Klangwelten der ebenfalls 2022 auf r-ecords.com erschienenen LP ROUTE 1 an. Dabei überführt Roland Schappert zehn neue Stücke seiner speziellen Klangerzeugung mit oftmals überraschenden Wendungen in Kontexte, die nur noch entfernt an bekannte analoge Instrumente oder digitale Synthesizer erinnern. Kurze Melodiefragmente, pointierte Tonfolgen und rhythmische Phrasen in variantenreichen Loops oder unique werden organisch miteinander verwoben.
Mit sparsamen Mitteln und behutsamer Dramaturgie evoziert Schappert unterschiedliche Stimmungen und konterkariert deren Klarheit mit Einschüben abstrakt sinnlicher Klänge und deren Auflösungserscheinungen. Die Tempi sind oftmals beschleunigend. Aber bevor sich rauschhafte Zustände einstellen, werden sie ausgebremst. Auf Lyrik, gesprochene Sentenzen, wird diesmal weitgehend verzichtet. Nur einmal hören wir auf Seite B in I LOVE YOU, ich Schapperts eigene, jedoch stark verfremdete Stimme. Auf Seite C verflüchtigt sich wie ein kleiner Nachtrag das weniger als eine Minute andauernde Sprechstück DICH zwischen zwei längeren rhythmischen Stücken. Aktuelles Beispiel dafür, dass seine digital gestaltete Klang-Emotionalität insgesamt nicht unbedingt den Ausdruck des allzu Sentimentalen in sich birgt. Damit und anhand aller übrigen instrumentalen Stücke rüttelt Roland Schappert an den Hörgewohnheiten der Zuhörer:innen. Er stellt immer wieder gebräuchliche Harmoniebegriffe infrage, streitet sie jedoch nicht ab, sondern simuliert im Elektronik-Kontext ein brüchig erscheinendes, im Endeffekt fast geschlossenes Ganzes, ohne eine allzu vertrauensvolle Einheitlichkeit zu stimulieren. Der immer wieder aufkommende Wohlklang als versöhnliche Gemeinsamkeit muss nicht bruchlos sein, er kann von disparaten Strukturen durchkreuzt werden, schimmert aber durch.
Gemeinhin verleihen Rhythmen darüberliegender ungeformter Klangmaterie eine regelmäßigere Gestalt. Rhythmus bringt Teilchen in geordnetere Bewegung – er ist das machtvoll Treibende gegenüber den Tönen, Tonfolgen und Akkorden eines Melos. Die enge Verschränkung beider musikalischen Elemente verleiht Roland Schapperts Kompositionen eine eigene Struktur, Wärme, Selbstverständnis und Prägnanz. Dabei arbeitet der Musiker mit der völligen Vernetzung und Durchmischung der Klangerzeugung. Das sorgfältig ertüftelte Instrumentarium trennt nicht zwischen Rhythmus und Melos. Roland Schappert nennt dies „organische Digitalität“ – tatsächlich eine ungewohnte Vokabel, die aber zu passen scheint, zumal sie sich sowohl auf die elektroakustischen Mittel als auch auf deren Wirkung bezieht. Er hat inzwischen ein eigenwilliges musikalisches Gefüge und nebenbei eine unabhängig klingende Soundwelt geschaffen, die an den Rändern westlicher Musikgeschichte kratzt und durchlässig mit fließenden Übergängen zu zeitgemäßen Club-Ästhetiken und zur komponierenden Avantgarde ist – mit dezenten Anspielungen zu gestern wie heute.
Zudem experimentiert er behutsam mit eigenen Field Recordings und sprachtechnisch modellierten Ausdrucksmöglichkeiten. ROUTE 2 liegt ein intensiver Entstehungsprozess zugrunde, der u. a. mit den Klangerzeugungsverfahren der Wavetable- und Granularsynthese konfiguriert ist. Physical Modelling, ein weiteres Verfahren, findet ebenfalls immer wieder bei Schapperts Sounddesign Anwendung.
Alle Stücke sind November 2021 bis April 2022 entstanden. Das Album ist noch etwas stringenter als die LP ROUTE 1, zugleich fordernder, mit weniger Wechseln versehen, temperamentvoll und trotzdem an vielen Stellen malerisch bildhaft geblieben: Innenschau, irrational? Referenzpunkte: Eine Prise musique anecdotique am Ende des ersten Stücks mit dem Titel DARWIN und daran anschließend in DROHNT, das Luc Ferrari nicht besser hinbekommen hätte. Und der fulminant treibende, fast marschartige Beat auf FÄLLST MIR LEICHT, der Erinnerungen wach werden lässt an 80er/90er-Systematiken im EBM (Electronic Body Music) -Umfeld. Dazu wiederum einige nahezu barocke Keyboard-Sequenzen, Schapperts Vorstellung von Melos aufnehmend – als form- und soundabhängige Verbindung spezifischer Tonfolgen und rhythmischer Strukturen. Schließlich wird’s beim allerletzten Track auf ROUTE 2 auf charmante Art im wahrsten Sinne des Wortes feuchtfröhlich: CAMPARI-SEKT ist ein wahrer Cocktail-Mix aus Klängen, die ausschließlich aus einem Schwenk von Eisstücken im Glas bestehen – sowohl elektromagnetisch geschüttelt als auch entsprechend gerührt. Organische Digitalität im Gewand eines erfrischend abkühlenden Minimalismus.
Joachim Ody, Mai 2022
Joachim Ody, Mai 2022
Darwin
Glockige Klänge tröpfeln, schlagen Tonfolgen vor sich hin und entfalten ein fein ziseliertes mikrokosmisches Ballett. Am Schluss entfaltet sich ein evolutionstechnischer Prozess und es öffnet sich ein Portal, das uns in die Echoklänge einer Vogelhalle führt und kurz darauf eine beschauliche Meeresatmosphäre entstehen lässt. Die Natur erobert sich Raum zurück. Oder erweist sich das am Ende als trügerische Simulation?
Drohnt
Drone droht. Alarmsirenen heulen. Sturm zieht auf. Regen peitscht. Kinder geraten in Panik. Flüchten. Oder spielen sie nur? Nähert sich ein Marschflugkörper? Steht eine Alien-Invasion bevor? Nein, es ist lediglich ein Drohn, der Signale aussendet. Es drohnt nur. Ein SciFi-Szenario einer billigen B-Movie-Produktion wird ins interstellare Jetzt gebeamt. Das wirkt nicht billig – man hörte eigentlich nie den Sound einer beleidigten Untertasse.
I love you, ich
Kein Tanz, der stillsteht. Langsam, einer endlosen Wolke gleich. Voller Unterbrechungen, Funklöchern auf der Spur. Selbst ein kleiner Sprint führt kein Ziel vor Augen – so kommt man stetig im Gleichklang an jeden Ort: Nothing more or less… I love you too.
I love you, Coda
Eine kurze Umgestaltung und Beschleunigung von I love you, ich, die in einer neuen phonetischen Ordnung zusammengefasst ist. Einzelne gebrochene Buchstaben bilden eine ästhetische Klangstruktur – elektronische Applikationen geraten ins Unkoordinierte. Ein entfernt an die Geschichte der Lautpoesie erinnerndes künstlerisches Verständnis im Gewand rhythmischer Strukturen.
Victor
Da schiebt sich Unbekanntes – einer Scheibe ähnlich – knarzend mit melodischem Dauerfeuer einer tiefen Bassschicht entgegen. Luftig ausgestattet erfreut sie sich in quälender Trockenheit an spartanischen Tonfolgen. Dreht sich alles und weicht nicht vom Weg ab.
Fällst mir leicht
Ein Stomper für die Dark Disco. Direkt. Dynamisch. Voller Energie. Maschinelle Rhythmen werden gnadenlos vorangetrieben. In deren Echokammern verspielt eine virtuelle Elektronikwelt ihre Befreiung durch eine unerwartete Synthie-Interruption, die roboterhaft verdrängt wird. Ein Marsch wäre keine Option. Sich auf der Tanzfläche auszutoben, sich regelrecht die Seele auszukotzen, das schon. So fällst Du mir leicht.
Dich
Hier sprechen eine Minute lang ausschließlich Buchstaben und Wörter. Ich – ich – ich – Dich – ich liebe Dich – ich – ich – Dich. Verschallung und Verschaltung von Stimme und Körper. Mit einer nervösen Mechanik schnaufen, zischen und überlagern sich die Phoneme mehrfach. Sie werden moduliert, seriell systematisiert – bis die Essenz jedes einzelnen Ausdrucks aufgelöst erscheint.
Barbate
Das Panorama einer südandalusischen Stadt als schillerndes Fresko. Doch ohne jegliche spanischen Klischees. Ohne Touristen-Folklore. Klanglich illuminiert und verschachtelt. So spiegelt sich ein Gefühl wider, welchem man sich an diesem Ort möglicherweise aussetzen mag, wenn Bilder die Klänge verstimmen. Bedächtig, konzentriert, fast prozessionsartig fügt sich ein Melodiefragment zusammen. Mit Schwankungen am Rande. Taghell und nachtschwarz. Das Motiv wird ständig wiederholt, wechselt die Tonarten, wandert durch Skalen. Harmonien geraten ins Schwanken. Dabei lösen sie sich scheinbar unentwegt auf, ohne dass das Stück Substanz verliert. Das Instrumentarium bleibt unerkannt. Ein unbekanntes Saiteninstrument?
Cádiz
In gleißendem Licht flirrt der Welttraum eines Küstenorts im Hitzestau. Voller Watte und kerniger Kanten schnalzt und klirrt es zwischen zwei Winden. Im dickflüssigen Öl flirten kaltgepresste Oliven. Aufgebrochen schweben sie davon.
Campari-Sekt
Ein paar Eiswürfel im Glas. Bevor sie schmelzen, werden sie geschüttelt. Sie rotieren. Klirren. Dann ein Schwenk. Das Geräusch verselbstständigt sich und wird unscharf. Überführt sich in Rhythmen. Lauter Eigenleben. Die Würfel sind nicht mehr als solche zu identifizieren, sie werden gefiltert und in mehreren Schattierungen metamorphisiert. Ein elektronischer Zersetzungsprozess scheint unaufhaltsam in Gang zu kommen. Rhythmen zirkulieren, fangen sich und die Hörer:innen ein. Sie ändern unentwegt ihren Style. Nicht für immer. Am Schluss wird die amorph gewordene Masse entschleiert und lenkt über auf das immer noch klirrende Eis. Keine Zeit ist vergangen.
Joachim Ody & Roland Schappert, Mai 2022
Created, performed, mixed, artwork, lyrics
and cover photographs by Roland Schappert
Mastered by Robert Feuchtl at bobhumid.de
Design by Monika Neumann at motho-design.com
Produced by Michael Heiber at neophon.de
Thank you Joachim Ody
Limited Edition 250
2022
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Distribution by a-musik.com
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